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Mobile Health Apps im Gesundheitssystem – ein Risiko?

Zumindest bisher führen Mobile Health Apps – trotz ihrer grossen Zahl – nicht zu einem Kostenschub im Gesundheitswesen. Die Hürden für eine Rückvergütung sind hoch und werden der Natur der Apps nicht gerecht. Es braucht neue Ansätze, um die sich bietenden Chancen wahrzunehmen.

Nein, Mobile Health Apps oder mHealth Apps – also mobile Gesundheits-Apps – bergen für das Gesundheitssystem nicht nur Risiken, sie bieten auch Chancen. Doch um die Segnungen der mHealth Apps geht es in diesem Beitrag nur am Rande. Der Fokus liegt vielmehr auf der Frage, ob die digitalen Helferlein als Gesundheitsprodukte über die Krankenkassen vergütet werden sollen.

Droht erneuter Kostenschub?

Um eine Antwort zu finden, empfiehlt sich zuerst ein Blick auf den Markt: Je nach Quelle geht man weltweit von rund 350’000 mHealth Apps aus, die Marktgrösse wird auf knapp USD 40 Mrd. geschätzt, das Wachstum pro Jahr wird bis 2030 mit 12 Prozent angegeben. Ein erneuter Kostenschub also, wenn die Apps durch die Krankenversicherung bezahlt werden sollen? Nein, denn aus dem riesigen Angebot wurden bislang nur 250 Apps durch die amerikanische FDA abgenommen und besitzen zusätzlich eine CE-Zertifizierung. Dies sind weniger als 0.07 Prozent. So qualifizieren sich beispielsweise Anwendungen aus dem Fitnessbereich, Apps zur digitalen Terminbuchung bei einem Arzt oder medizinische Nachschlagewerke wie auch das elektronische Patientendossier in der Regel nicht für eine Zertifizierung.

Selbst wenn man die Grundgesamtheit aller mHealth Apps betrachtet, sind die Umsätze überschaubar: Fitbit kommt im Google Store auf monatliche Erträge von gut USD 2 Mio. (September 2022), für die FDA/CE zertifizierten Apps dürften die Umsätze geringer sein. Goldgräberstimmung fühlt sich anders an. Ob eine App den Durchbruch schafft, hängt von verschiedenen Faktoren ab: von der Sensibilisierung für Gesundheitsthemen, den Erfahrungen aus der Nutzung anderer Apps (z.B. Covid), dem Angebot konkurrierender Apps sowie dem konkreten Nutzen, den man aus der Anwendung zieht. Wird Letzterer als geringer eingestuft als das Risiko, etwa des unberechtigten Zugriffs oder der Fremdmanipulation der eigenen Gesundheitsdaten, wird eine App kaum erfolgreich. Die Vorbehalte in Sachen Datensicherheit sind in der Schweiz grundsätzlich hoch.

Schweiz schneidet gut ab

In einem europäischen Vergleich der Rückvergütungsmöglichkeiten von mHealth Apps schneidet unser Land gut ab, es wird als «Fast Follower» eingestuft. Dies, obwohl nicht einmal eine Handvoll Apps abrechenbar sind, darunter eine Echtzeit-Übertragung der Daten eines Pulsoxymeters an eine Alarmzentrale und ein kontinuierliches Glukose-Monitoring-System mit Alarmfunktion. Ganz vorne platziert sich Deutschland mit 33 sogenannten «digitalen Gesundheitsanwendungen (DiGA)», die über den Leistungskatalog der Grundversicherung abrechenbar sind. Viele Apps widmen sich dabei der psychischen Gesundheit (40 Prozent), gefolgt von Diabetes/Fettsucht und Erkrankungen des Bewegungsapparates (je 12 Prozent). Seit Einführung der rechtlichen Grundlagen für eine Vergütung in Deutschland wurden mHealth Apps 140’000-mal verschrieben und generierten dabei kumuliert über die Jahre einen Umsatz von EUR 41 Mio. Dies entspricht gerade einmal 0.01 Prozent der gesamten jährlichen Ausgaben des deutschen Gesundheitssystems.

Der Kostenschub im Gesundheitswesen ist also nicht auf die vermehrte Verschreibung von Apps zurückzuführen, dafür spielen sie (noch?) eine zu marginale Rolle. Ein Grund für Letzteres sind die aus Hersteller- bzw. Programmierersicht hohen Hürden für eine Rückvergütung. In Deutschland sind dies: CE-Zertifizierung, Einstufung als Medtech-Produkt der Klasse I oder IIa, erhöhte Anforderungen u.a. an den Datenschutz und die Interoperabilität sowie der Beleg der klinischen Wirksamkeit.

Wie sieht die Situation in der Schweiz aus? Die Hürden sind noch zahlreicher als in Deutschland. Die Evaluation des medizinischen Mehrwertes muss den WZW-Kriterien (Wirksamkeit, Zweckmässigkeit und Wirtschaftlichkeit) standhalten, doch von der Natur der Apps her wäre ein HTA-Prozess (Health Technology Assessment; d.h. die systematische Bewertung von Gesundheitstechnologien) wohl zielführender. Basierend auf sogenannten «Real World Data» (Daten aus der praktischen Versorgung im Gegensatz zu klinischen Studien) sollte die Wirksamkeit belegt werden. Das heutige System der MiGeL (Mittel und Gegenständeliste) ist zu starr, um mit der dynamischen Entwicklung der mHealth Apps mitzuhalten. Der «Experimentierartikel» ermöglicht die Durchführung innovativer Pilotprojekte, welche die Kosten des Gesundheitssystems dämpfen, die Qualität stärken und die Digitalisierung fördern. Diese Möglichkeit sollten App-Anbieter nutzen. Kassenseitig bietet sich die Rückvergütung der Apps in Zusatzversicherungen als Differenzierungsmerkmal an, gleichzeitig können so die gewünschten Real-World-Daten gewonnen werden.

Lernen und Chancen nutzen

Die mHealth Apps sind zurzeit eher eine Therapieergänzung, kein Ersatz. Die therapeutische und regulatorische Lernkurve ist noch steil, die Schweiz sollte aufmerksam die Erfahrung anderer Länder studieren, um die sich bietenden Chancen für das Gesundheitssystem und die Patienten zu nutzen und die Risiken zu minimieren.

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